Salutogenese (nach Aaron Antonovsky) ist ein Konzept, welches sich um die Erhaltung und auch um die Entstehung von Gesundheit dreht. Komplementär dazu kennen wir den Begriff der Pathogenese (Entstehung von Krankheit, zB auch typische Frage beim/der Arzt/Ärztin: ‚Wo tuts weh, wie hat sich das entwickelt, wie lange bestehen die Beschwerden schon?‘).
Im Zentrum der Salutogenese steht das sogenanne Kohärenzgefühl, ein andauerndes, dynamisches Gefühl des Vertrauens, dass man das Leben mit seinen Situationen versteht, handhaben bzw. gestalten kann und Sinn sieht. Die 3 Aspekte des Kohärenzgefühls sind somit Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit.
Wenn wir fühlen, dass wir in Stress geraten, können wir uns diese 3 Fragen stellen:
Verstehe ich, worum es geht? Falls nicht: Kann ich Informationen einholen, um verstehen zu können?
Kann ich aktiv etwas tun? Kann ich eine andere, weniger belastende Haltung zum Geschehen einnehmen?
Sehe ich einen Sinn darin, in dieser Situation?
Verneinen wir eine oder mehrere dieser Fragen, so befinden wir uns in einem belastenden Kontext - nun sind unsere Lebenskompetenz, unsere Bewältigungsstrategien (werden auch coping mechanisms/strategies genannt) und unser Erfindergeist gefragt, denn aufgrund unseres Überlebenstriebes wollen wir ‚es schaffen‘, wir wollen überleben und leben. Wenn wir uns an die Anfänge der Pandemiezeiten erinnern, bemerken wir, dass für einen Großteil der Menschen alle 3 Fragen mit ‚Nein‘ zu beantworten waren, zumindest haben das viele so empfunden: purer Stress für unsere Körper-Geist-Seele-Systeme.
Viktor Frankl sagte: ‚Das einzige, was Sie mir nicht nehmen können, ist die Art und Weise, wie ich auf das reagiere, was Sie mir antun. Die letzte Freiheit besteht darin, die Einstellung unter bestimmten Umständen zu wählen.‘ (Kontext des Zitats: Frankl verbrachte Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern. Seine gesamte Familie - Eltern, Bruder, Ehefrau - wurden ermordet, er überlebte).
Diese Aussage betrifft den Punkt der Handhabbarkeit… wenn wir diese sehr hohe Kunst anstreben, zu bestimmen, wie wir auf einen Impuls von außen reagieren wollen, dann bleibt uns immer eine Wahlmöglichkeit, eine gewisse Gestaltungsfreiheit. Wie Frankl sagt: Das ist die letzte, die wahre Freiheit, die einem niemand nehmen kann. Auch viele andere Überlebende von Katastrophen, von Holocaust und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprechen über diese innere Freiheit, über diese Wahl der Reaktion. Es mag uns unmöglich erscheinen, diese Freiheit erlangen zu können - aber wir können uns das Anstreben derselben dennoch als Ziel setzen und auch in unserem Alltag darauf hinarbeiten.
Und genau an diesem Punkt kommt auch die Dankbarkeit in der salutogenen Lebensführung ins Spiel: Es ist ein bemerkenswertes Erlebnis mit sich selbst, sich einmal Zeit zu nehmen, um alle bereits vorhandenen salutogenen Aspekte des eigenen Lebens aufzulisten und für jeden einzelnen bewusst Dankbarkeit zu empfinden. Da Dankbarkeit weit macht, fällt es uns leicht, uns in dieser achtsamen Auflistung zu dehnen und zu schauen, welche weiteren Aspekte wir noch in unser Leben bringen bzw. welche wir aktivieren wollen. Das WIE ist dabei entscheidender als das WAS: Alles, wirklich jede noch so kleine Handlung des Alltags, einfach einmal eine Stunde, einen halben Tag lang bewusst dankbar begehen… dankbar die Türe zusperren, dankbar das Glas Wasser trinken. Dankbar das Handy aufladen, dankbar Geschirr abwaschen. Mehr, länger und tiefer in Dankbarkeit verweilen - auch und gerade in Situationen, in welchen wir es eventuell als widersinnig empfinden, dankbar zu sein (zB wenn wir warten müssen, wenn wir übersehen werden, wenn sich jemand an der Kassa vordrängt…). Das gibt einem auch die Gelegenheit, dass sich das Empfinden der Dankbarkeit selbst beständig ändert: Morgen fühlen wir uns vielleicht anders dankbar als heute, können Dankbarkeit intensiver fühlen.
Bewusst Dankbarkeit zu üben stärkt alle 3Aspekte des Kohärenzgefühls: Dankbarkeit macht achtsamer, dadurch kann man eher verstehen, Zusammenhänge erkennen, die man vorher nicht wahrgenommen hat. Dankbarkeit ist eine Haltung, eine Reaktions- und Gestaltungsmöglichkeit, die man bewusst wählen kann, somit gestaltet man sein Leben aktiv in Dankbarkeit. Ähnlich wie Vergebung tut Dankbarkeit vor allem für den/diejenige/n etwas, der/die Dankbarkeit empfindet: Wenn mich zB jemand bestiehlt, kann ich wählen, trotzdem dankbar sein - nicht dafür, dass ich bestohlen wurde (hier wären natürlich Wut oder Angst usw., je nach Situation, die erste natürliche Emotion!), sondern dafür, dass ich mich ab sofort besser schützen, forscher auftreten werde, mir keine Schuld geben werde für den Schaden, der mir zugefügt wurde etc. (die Möglichkeiten sind je nach Situation unendlich viele). Dankbarkeit macht mich gerade in Situationen der Ohnmacht stark: Wenn ich beschließe, Dankbarkeit zu empfinden und mich dadurch in einen harmonischeren Zustand bringe, kann mir das niemand wegnehmen; eine hervorragende Möglichkeit der Selbstregulation also. Dankbarkeit verleiht Situationen, welche wir bisher als völlig sinnlos betrachtet haben, Sinn, weil wir sie mit Dankbarkeit auffüllen und uns Dankbarkeit Details sehen lässt, welche vorher völlig unsichtbar gewesen sein mögen.
Eine kleine Übung dazu: Setze dich im Garten, im Wald, im Park, auf einer Wiese auf den (Erd-)Boden. Du kannst dich auch im Wohnzimmer oder wo auch immer auf den Boden setzen, draußen fällt die Übung zu Beginn meist leichter. Schließe kurz die Augen, atme durch und nimm willentlich innerlich eine Haltung der Dankbarkeit ein (wenn du Dankbarkeit - noch - nicht fühlen kannst, macht das nichts. Trainiere es, fake it till you make it… sage innerlich: 'Ich bin jetzt dankbar' oder 'Danke'). Dann schaue dich um bzw. einfach auf das Stückchen Waldboden vor dir, auf deine Kästen, auf den Staub am Boden. Welche kleinen Tierchen nimmst du wahr zwischen den Grashalmen? Erstreckt sich ein Universum zwischen zwei Zweigen? Erzählt der nervende Staub von geliebten Haustieren und Menschen, mit denen du wertvolle Zeit verbracht hast? Du entscheidest - du gestaltest - du bestimmst, wie du reagierst. Dein gesamtes (Nerven-, Hormon- und Kreislauf-)System wird sich dann adäquat auf deine innere Haltung einstellen und ebenso reagieren. Ob Staub dich also Endorphine oder Adrenalin ausschütten lässt, liegt zumindest zu einem Teil in deiner Hand ☺️
Das bewusste Empfinden von Dankbarkeit ist somit eine salutogene Strategie, um Gesundheit entstehen zu lassen und sie aufrechtzuerhalten.
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