top of page
Search

1509

Updated: Dec 19, 2022

Auch jetzt könnte ich noch umkehren, und jetzt – eine halbe Minute, sieben tiefe Atemzüge und zweiunddreißig Herzschläge trennen mich von meinem unausweichlichen Ziel, welches ich unverwandt ansteuere, mit blauen Gedanken im Kopf und weißen Wangen, die im Gegensatz zu meinen frostigen Händen glühen wie ein vergessenes, glosendes Feuer. Blicke streifen meine Gestalt, ich spüre sie, als wären es Äste, die einem beim hurtigen Ritt durch den jungen Wald ins Gesicht schnalzen, doch ehe sich der Schmerz begreifen lässt, hat es einen weitergetragen, das Leben. Catharina,vergänglich gehst du neben mir. Du und ich, wir sind ein seltenes Paar. Es ist uns nicht vergönnt, das Glück, ich ahne es zaghaft und verschattet. Frieden möchte ich erlangen, Frieden in mir. Gratwandernd werde ich auf diesem Wege bestehen, Gott sei bei mir. Himmel und Erde mögen sich gegen mich wenden: Ich werde dennoch weitergehen, unbeirrt; den Blick, der leer und grausam, nach vorne gerichtet. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, längst hat die Masse die Kontrolle über meinen Körper übernommen und trägt mich wie die Brise eine leise Melodie. Kann ich jemals sein, wer ich wahrlich bin? Lieben, wen mein dunkles Herz ersehnt? Muss auf immer Diener ich sein, mein Gesicht nur eine stete Maske mir? Noch ist Zeit. Ohne den Blick zu senken schreite ich voran und bin mir der Macht, die mit offenen Armen mich zu umfangen wartet, vollkommen bewusst. Preisgeben werde ich nichts, niemand soll sie jemals teilen mit mir, meine Geschichten, am Saum bereits modrig und grau.

Quer durch den Saal erschallt ein schriller Ruf, ich höre meinen Namen, laut und klar. Richtig, ich bin es, auf den ihr gewartet habt. Seit meines Bruders Tod habt ihr danach gelechzt, diesen Moment erleben zu können. Tiefe Wunden mögen die letzten Jahre bei euch hinterlassen haben, aber Heilung kann ich euch nicht versprechen. Unvermögen, noch nicht sichtbar für euch, keimt in mir als Unkraut. Vertrauen schenkt ihr mir, ich sehe es in euren Augen und schließe die meinen. Wunderlich stehe ich nun vor dem Thron; ja, ich bin angekommen. Xylografisches Meisterwerk, rückenstärkender Freund wirst du mir sein in den kommenden Jahren, ich falle in dich und lasse mich fangen. Yard um Yard erfassen meine Augen, all das gehört und verlangt nach mir.

Zu dir, mein Land, meine Mätresse, bin ich gekommen, und reiche dir die Hand. Ich, Heinrich der Achte, König von England.



{Bei dieser Geschichte versteckt sich in den Satzanfängen ein kleines Sprachspiel 🎠}

53 views0 comments

Recent Posts

See All

Verspielt

Ich möchte mich zu Beginn dieses Textes ausdrücklich bei Ihnen entschuldigen, werte Leser. Sie müssen wissen, ich, Paul Schönberg,...

Bach verspielt

Paul Bach putzte seine Brille, wie er es täglich ungefähr fünfzehn Male tat. Wie sooft half es auch nun nichts – die Nebelschwaden, die...

Advenio

Advent. Ich atme ein, gehe durch die hell beleuchteten Straßen und habe Zeit. Menschen eilen als bloße Silhouetten an mir vorbei....

Comments


Post: Blog2_Post
bottom of page